Geführt und Bedient – Entscheidung der Administration spaltet die Basis

2022 fusionieren die Gebietskirchen Nord- und Ostdeutschland und Berlin-Brandenburg. Was allseits erwartet wurde, sorgt nun für gespaltene Reaktionen. Der Grund: Die Verwaltung der fusionierten Gebietskirche soll in der Berliner Dunckerstraße eingerichtet werden. Der HEROLD hat ein Stimmungsbild eingefangen.

Soll ab 2022 von Dublin bis Petropawlowsk schalten und walten: Die Kirchenadministration in der Berliner Dunckerstraße.

Hamburg-Wellingsbüttel zum Jahresbeginn 2021. Ein gutbürgerliches Wohnzimmer; an der Wand der Stammapostel, im Bücherregal die Klassiker: Großer Meister, Apostel der Endzeit, Katechismus. Gottlieb W. (74), Diakon im Ruhestand, ist guter Dinge in diesen ersten Tagen des neuen Jahres. „Dass die Fusion kommt, war ja abzusehen. Da hatte ich mich schon mit abgefunden. Aber nun wird es doch eine segensreiche Zukunft“ Der Hintergrund dieser Aussage: Mit dem Ruhestand von Wolfgang Nadolny als Bezirksapostel 2022 sollen die Gebietskirchen Nord- und Ostdeutschland und Berlin-Brandenburg fusioniert werden, dies gab Stammapostel Schneider im Dezember 2020 bekannt. Wie der HEROLD nun aus kircheninternen Kreisen erfuhr, soll die gesamte Administration der fusionierten Gebietskirche im Verlauf des Jahres 2022 nach Berlin verlegt werden. Der Nachfolger Krauses soll 2025 aus der Dunckerstraße kommen. „Damit kommt endlich wieder Zug in den Laden.”, so ein energiegeladener Gottlieb W., nachdem er Kaffee nachgeschenkt hat.

„Wissen Sie, im Grunde sind wir ja alles Brüder und Schwestern im Herrn. Aber wenn ich mir die letzten Jahre so ansehe: wie der Förster Finsternis sein schändliches Werk am Tempel Gottes verrichtet. Und alles nur, weil die Gärtner in der Kirchenleitung nicht die Schere an den Wildwuchs legen. Die glauben wohl alle, dass der Herr selber die Ernte einfährt. In Berlin, da nehmen sie noch ihre Verantwortung wahr. Mein Bruder ist treuer Priester in der brandenburgischen Provinz: Wenn da der Vorsteher eine Ämterstunde durchführt; da ruft der Älteste hinterher erstmal bei meinem Bruder an. Und lässt sich berichten. Dass muss ja schließlich alles seine Ordnung haben, was der Vorsteher sagt. Und wenn der menschliche Geist zu sehr durchschlägt, kann der Älteste dem Einhalt gebieten.“ 

W. ist einer vom alten Schlag. 1962 versiegelt, war er schon ein halbes Jahr später als Diakon mit der Gemeindejugend unterwegs, um die Nachbarschaft vom drohenden Unheil der großen Trübsal in Kenntnis zu setzen. Hier lernte er auch sein spätere Frau kennen, eine Großnichte der Schwiegertochter der Schwägerin des damaligen Bezirksapostel Karl Weinmann. W.s Platz in der Gemeinde war damit gesichert.

„Nachdem Onkel Karl in den Ruhestand gesetzt wurde, fing das Übel an. Die neuen Herrn in der Kirchenleitung haben alle nur das Ihre gesucht, und die Geschwister machen lassen. Ohne Zucht und Ordnung. Schauen Sie sich das doch heute an: Da kann ja jeder kommen. Aber nun wollen wir des Alten nicht mehr gedenken, sondern mit Glaubenseifer in die Zukunft gehen.“

Gottlieb W. (74), Diakon i.R. vom alten Schlag

Man mag W.s Stil etwas aus der Zeit gefallen finden. Doch auch moderatere Strömungen im neuapostolischen Amtskörper scheinen sich mit dem Umzug der Verwaltung zu arrangieren. Im Großraum Hannover scheinen die lieben Brüder pragmatisch mit der administrativen Entscheidung umzugehen. Hier treffe ich Priester Robert G. (42). Er erzählt, wie er Anfang der 2000er als begeisterter Anhänger der Vision 2010 ins Diakonenamt startete:

„Da war Aufbruchsstimmung, wir konnten richtig was bewegen. Die Wort-Inhalts-Rate in den Predigten stieg von Gottesdienst zu Gottesdienst, eine Zunahme der Seelenreife unter den Geschwistern war Jahr für Jahr zu verzeichnen und alles nahm nur eine Richtung: Nach oben. Da waren Jesus und der Heilige Geist 24/7 spürbar. Dann kam Hamburg und auf einmal war das alles tot. Die kamen wieder mit ihren Formalien. Auf einmal war wieder wichtig, wie der Altar aussieht, wie man redet und wie man geht. Alles tote Buchstaben und kein lebendiges Evangelium. Spätestens mit Hamburgs Zehn-Punkte-Plan zur Behandlung von Konflikten (der HEROLD berichtete) war eigentlich nur noch Resignation da. Und totale Verunsicherung. Niemand wusste, was noch ging und was nicht, weil null Feedback von oben kam – oder gleich die Eskalation. Dazwischen gab’s nie viel. Ganz ehrlich? Da fühle ich mich mit Berliner Führungstraditionen besser aufgehoben. Da weißt du halt, dass du in Glauben, Gehorsam und ernstlichem Vorsatz die Hacken zusammenknallen musst. Aber wenn da die Gemeinde eins ist; sich die ganze Zeit vom Geist inspirieren lässt; und nach oben die Klappe hält: dann kann da was gehen.“

Markus G. (42), erweckt-enttäuschter Priester

Warum es überhaupt zu der überraschenden Entscheidung kam, konnte der HEROLD aus verlässlichen Quellen im Umfeld der Administration in Zürich erfahren:

„Die Entscheidung, die Administration der fusionierten NAK Nordost in die Dunckerstraße zu verlegen, geschah aus pragmatischen Gründen. Wenn man bedenkt, dass sich 80% der Fläche der neuen Gebietskirche auf dem Territorium ehemaliger GUS-Staaten befindet, haben die Berliner Brüder einfach den kulturellen Vorteil. Außerdem spielte der Gedanke des brüderlichen Einsseins eine große Rolle. Auch BAP Krause soll, wie seine fusionierten Vorgänger vor ihm, in den Genuss kommen, kurz vor Toresschluss noch drei Viertel des eigenen Verwaltungsstabes zu entlassen.“

Seriöser Kontaktmann, Zürich

So rational einem die Entscheidung der Administration auch erscheinen mag, scheint sie in ebenso gleichem Maße die Emotionen hochzuschaukeln. „Ich bin S.C.H.O.C.K.I.E.R.T.!!!“, so Julia F. (27). 2013 aus dem Vogtland nach Hamburg gezogen, gründete sie noch im selben Jahr einen Jugendchor in ihrer Gemeinde. Mittlerweile besuchen Jugendliche aus dem ganzen Bezirk die Jugendsingabende. In Coronazeiten selbstverständlich digital. Wie unser Treffen.

„Wozu habe ich mir denn hier die ganze Zeit den A**** aufgerissen? Wir haben hier in den letzten Jahren so viel erreicht, damit dass in der Kirche auch mal moderner wird und nicht mehr so konservativ ist. Gerade jetzt in Pandemiezeiten sind wir soweit vorangekommen. Wir haben ein ganzes Virtual-Choir-Album mit NGL-Songs (Neues Geistloses Lied, Anm. der Redaktion) aufgenommen, O!M!G! ist das geil geworden. Das lief sogar vor den Videogottesdiensten! Richtig mega! Endlich mehr cooler Sch*** in der Musik! Ich meine, ist doch egal, Hauptsache Jesus! Wichtig ist doch bloß, dass das auch modern und nicht mehr so konservativ ist. Wenn Berlin übernimmt, müssen wir doch auf einmal Inhalte bringen, sonst darf man da doch nichts mehr machen. Und dann die noch mit ihrem laaaangweiligen Apostelkram und so. Und guck dir doch diesen Eliteschulchor da drüben mal an: Da müssen die jetzt sogar proben in der Übungsstunde! Voll konservativ. Zum Glück ziehe ich nächstes Jahr nach Pößneck, da soll’s nen tollen freikirchlichen Club geben, die machen das da so schön modern, mit Lobpreis und so. Und vor allem nicht mehr so B-O-R-I-N-G.“

Julia F. (27), progressive Jugendchorleiterin

Es bleibt abzuwarten, wie die verschiedenen Funktionsträger in den Gebietskirchen und innerkirchlichen Ministerien auf die emotionalen Reaktionen reagieren werden. Eines steht mit Sicherheit fest: Die Kirchenleitung bleibt ihrer Linie treu, Entscheidungen möglichst kompliziert und intransparent zu treffen. Somit bleibt man auf dem schmalen Weg. Der HEROLD wünscht: Vorwärts! Und zum Wohle!

Dieser Beitrag wurde unter Nachrichten veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Hinterlasse einen Kommentar